nachgereift Gedanken, die erst noch zu Ende gedacht werden müssen

Neun: Sommer, Herbst und Winter

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Jetzt stecken wir mittendrin: Wieder ein Herbst, auf den bald der Winter folgt. Weil jetzt im Spätherbst weniger „Zeit“ ist, weil die Tage schneller kürzer werden, weil sich alle Aktivität in die wenigen Stunden drängt, in denen es noch hell ist. Vom Frühjahr in den Sommer ist der Übergang angenehmer. 

Um sechs Uhr abends ist es dieser Tage längst dunkel. Im Sommer wäre ich jetzt losgegangen und um das Dorf gerannt. Der Spätherbst verlangt einen anderen Rhythmus von mir: Aktivität, solange es noch hell ist.

Prioritäten

Und mit diesem anderen Rhythmus kommen auch andere Prioritäten. Ruhe finden. Reflektieren. Einigeln. Lesen. Der Tee hat eine andere Qualität, weil ich mir mehr Zeit nehme oder bewusster konsumiere. Jetzt hat er eine Funktion mehr. Mich warmzuhalten. Das macht ihn noch wertvoller. Teepausen unterstützten beim Innehalten. 

Anders: Jetzt ist Zeit für all die Dinge, zu denen ich im Sommer nicht gekommen bin, weil ich dachte, ich verpasse gerade ein Stück Leben, weil es doch immer etwas Neues zu entdecken gibt. 

Im Sommer fühl’ ich mich oft wie ein junger Hund (ich bild’s mir halt gerne ein, dass ich noch wie ein junger Hund aufgeregt die Welt entdecken kann), und alles ist aufregend und neu und will erlebt werden. Jetzt im Herbst, da denk’ ich mir, ich bin jetzt lieber der alte Hund, der neben dem warmen Herd seinen Platz gefunden hat. Der vielleicht den Kopf hebt, wenn sich etwas rührt, der aber nicht aufspringt oder kläfft, sondern lieber ganz gelassen liegenbleibt und aus dem Augenwinkel beobachtet. Der alte Hund, der gerne lungert und es meditieren nennt – womit sich der Kreis zu Mary Oliver schließt.

On Meditating, Sort Of

Meditation, so I’ve heard, is best accomplished
if you entertain a certain strict posture.
Frankly, I prefer just to lounge under a tree.
So why should I think I could ever be successful?

Some days I fall asleep, or land in that
even better place — half-asleep — where the world,
spring, summer, autumn, winter —
flies through my mind in its
hardy ascent and its uncompromising descent.

So I just lie like that, while distance and time
reveal their true attitudes: they never
heard of me, and never will, or ever need to.

Of course I wake up finally
thinking, how wonderful to be who I am,
made out of earth and water,
my own thoughts, my own fingerprints —
all that glorious, temporary stuff.

Oliver, Mary. Devotions. Penguin Press, NY: 2017. (pg. 22)

Herbstwald, Winterwald und der Kontrast

Nirgends wird der Wandel der Jahreszeiten so deutlich, wie im Wald. Der herbstliche „Regenwald“ ist auf seine eigene Art schön. Der Geruch ist ein anderer. Das Licht hat eine andere Qualität. Die Blätter rascheln unter den Schritten oder das feuchte Moos schluckt alle Geräusche. Die Kontraste sind größer als im Sommer. Der Wald ist gleich und gleichzeitig auch ein ganz anderer. Wenn der Schnee kommt, wird es wieder anders sein. Dann wird es noch stiller und monochromer – der Kontrast wird noch größer. 

Darüber dachte ich nach, als ich spazieren ging. Vom Wanderparkplatz aus einfach dem Weg folgend. Mitten durch den Herbstwald mit ganz viel Moos, Flechten, Farnen und hohen Tannen, und plötzlich war da eine Bahnlinie. Mitten durch den Wald. Eine richtige Schneise und natürlich mit Unterführung, damit Mensch und Tier die Gleise ohne Gefahr queren können. 

Erklär das mal einem Reh.

Über den Autor

Sebastian

Hallo, ich bin Sebastian und schreibe hier in loser Folge über Themen, die mich beschäftigen.

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