Endlich ein Thema, das, zumindest auf den ersten Blick, nicht so dramatisch ist wie der Tod, die Trauer, die Angst, die Liebe oder die Vergebung. In der vorletzten Folge der siebenteiligen Serie um die existenziellen Fragen geht es um den Sinn des Lebens.
Die Antwort: 42.
Das ist alles, was es darüber zu sagen gibt, und vielen Dank für den Fisch. Und nicht vergessen: Am 25. Mai ist Towel Day.
Ganz so einfach ist es wohl doch nicht. Einen Sinn im Leben zu finden, das ist eine der Fragen, für die jede Generation nach ihrer eigenen Antwort sucht und bei genau dieser Suche über immer neue Fragen stolpert.
Hatten frühere Generationen es einfacher, den „Sinn des Lebens“ zu finden? Vielleicht. Die Welt war weniger komplex. Heutige Generationen müssen eine Welt navigieren, die disruptiver, komplizierter und multipolarer ist. Da eine gute Antwort auf die Frage „Wo stehe ich in dieser Welt?“ oder „Was ist mein Platz in dieser Welt?“ zu finden, ist schwieriger geworden.
Der Sinn des Lebens
„Was ist der Sinn des Lebens?“ Wenn es nach Douglas Adams geht, dann ist die Antwort simpel und lautet „42“. Absurd? Natürlich. Aber auch nicht absurder als jede andere definitive Antwort, die für sich in Anspruch nimmt, für alle zu gelten.
Fakt ist: Früher war absolut einfach alles besser, unsere Vorfahren hatten es so viel leichter, lebten länger, gesünder und zufriedener.
Nicht.
Ganz früher war der Sinn des Lebens schlicht und einfach, zu überleben. Lange genug zu überleben, um sich fortzupflanzen, die Art zu erhalten und die Gene weiterzugeben. Unsere Steinzeitvorfahren haben wahrscheinlich wenig über Selbstverwirklichung gegrübelt, als sie in ihrer Freizeit unter dem Sternenhimmel am Lagerfeuer saßen. Als wir nicht länger von Säbelzahntigern durch die Steppe gejagt wurden, da begann eine andere Jagd. Die nach den Antworten auf die großen Fragen, und eine davon war die nach dem Warum jenseits von purem individuellem und kollektivem Überleben. Die Frage nach dem Wozu unserer Existenz.
Und weil diese Fragen nun mal in der Welt waren, gab es kein Zurück mehr. Seitdem lassen sie uns nicht mehr los. Die üblichen Verdächtigen haben sich an ihnen abgearbeitet. Jahrhundertelang. Religionen bieten Antworten an. Philosophen ebenfalls. Die Wissenschaft zuckt mit der Schulter und verweist auf Zufall und Notwendigkeit. Coaches aller Couleur haben zwar oft keinen Sinn, aber ein veritables Geschäftsmodell für sich entdeckt. Ändert das etwas an der Frage, die morgens, wenn wir noch so müde sind, aber trotzdem aufstehen müssen, in unserem Hinterkopf aufpoppt: Wofür und warum das alles?
Nein.
Nein, es gibt keine allgemeingültige Antwort. Keinen Guru. Keine Methode. Keinen Lehrer. Und wer sich dabei an Van Morrison erinnert: Herzlichen Glückwunsch (für die Nerds: 1985, Sausalito, Kalifornien, Studio D and Record Plant Studios). Und wer an den Ausspruch von Jiddu Krishnamurti aus dem Jahr 1966 denkt, der liegt auch richtig.
„…there is no teacher, no pupil; there is no leader; there is no guru; there is no Master, no Saviour. You yourself are the teacher and the pupil; you are the Master; you are the guru; you are the leader; you are everything.“
Jiddu Krishnamurti
Vielleicht ist die Suche nach dem (einen) Sinn des Lebens schon der erste große Fehler. Als gäbe es eine Antwort, die für alle gilt. Als wäre der Sinn etwas Festes, Unveränderliches, das wir nur finden müssen.
Damit begebe ich mich auf dünnes Eis, denn Curly (gespielt von Jack Palance), der bärbeißige Cowboy in dem Film City Slickers, sieht das in einem Dialog mit Mitch (Billy Crystal) ganz anders:
Curly: Do you know what the secret of life is?
Mitch: No, what?
Curly (holding up one finger): This.
Mitch: Your finger?
Curly: One thing. Just one thing. You stick to that and everything else don’t mean shit.
Mitch: That’s great but, what’s the one thing?
Curly: That’s what you gotta figure out.
Was also, wenn sich diese „eine Sache“ verändert und nicht konstant bleibt? Was, wenn sich der Sinn wandelt? Jeden Tag? In jeder Situation? Mit unserem Alter, mit unseren Erfahrungen, wegen der Verletzungen, die wir erfahren haben, oder wegen dem oder denen, was uns am Herzen liegt und das wir so sehr lieben, dass alles andere unwichtig ist?
Mit zwanzig glauben wir vielleicht, der Sinn sei, die Welt zu verändern. Revolution.
Mit dreißig ist es vielleicht, nur noch etwas härter arbeiten zu müssen, um erfolgreich zu sein.
Mit vierzig sind auf einmal die Partnerschaft, Kinder und die Familie wichtig.
Mit fünfzig fangen wir an, darüber nachzudenken, der Welt etwas zu hinterlassen.
Mit sechzig, gesund zu bleiben.
Mit siebzig, noch da zu sein. Noch einen Tag mehr.
Oder ganz anders. Oder alles gleichzeitig. Oder nichts davon.
Was, wenn wir den Sinn nicht finden, sondern erschaffen müssen? Jeden Tag neu. Jeden Morgen die Entscheidung: Wofür stehe ich heute auf? Liegt der Sinn im Werden selbst? Nicht in einem Ziel, sondern im Prozess. Sich immer wieder neu erfinden. Immer weiter lernen. Die bessere Version von sich selbst anstreben – wohl wissend, dass wir sie nie erreichen werden.
Ist das am Ende frustrierend oder befreiend?
Sisyphos, der seinen Stein den Berg hinaufrollt, nur damit er wieder hinunterrollt. Camus sagt, wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen. Weil er seine Aufgabe kennt. Weil er sie annimmt. Aber wollen wir wirklich Sisyphos sein? Oder suchen wir nach mehr als ewiger Wiederholung?
Anders: Ist das „sich selbst immer wieder neu inszenieren“ am Ende vielleicht Vermeidung und kein Fortschritt, weil wir uns den nächsten Schritt nicht zutrauen und deshalb lieber in unserer Komfortzone bleiben?
Noch einmal anders: Manche Menschen sind paradoxerweise glücklich damit, nicht glücklich zu sein oder nicht ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Vielleicht ist deren Angst- oder Vermeidungszone genau der Ort, an dem sie zwar nicht glücklich und zufrieden, aber beheimatet sind?
Vielleicht ist es das: nicht die perfekte Version von uns selbst zu werden, sondern überhaupt zu werden. In Bewegung zu bleiben. Nicht zu erstarren in dem, was wir sind, sondern neugierig zu bleiben auf das, was wir sein könnten. Und nicht enttäuscht darüber zu sein, wenn wir herausfinden, dass es „das“ nicht war, wir aber immerhin etwas daraus gelernt haben?
Wie immer: Mehr Fragen als Antworten
Was, wenn der Sinn des Lebens darin liegt, mit mehr Fragen als Antworten aus dem jeweiligen Lebensabschnitt herauszugehen?
Die eine Deutung könnte sein: Mehr Antworten wären besser, denn dann hast Du ja was gelernt.
Die andere Deutung: Manchmal sind neue Fragen besser, weil sie uns in die Zukunft ziehen. Uns auf neue Abenteuer einstimmen oder uns zeigen, dass es noch so viel mehr zu ergründen und zu erleben gibt. Und dass es nie zu spät dafür ist.
Anders: Was, wenn der Sinn des Lebens darin liegt, mehr Fragen als Antworten zu haben? Was, wenn die Gewissheit der Tod des Denkens ist?
Ich bin ein gebranntes Kind, denn ich habe zwei Kinder, und die fragen ständig „Warum?“, und ich hoffe inständig, dass sie nie damit aufhören werden. Fragen, denken, erklären – nicht um recht zu haben, sondern um die Welt für sich selbst (und manchmal vielleicht auch für andere) einordnen zu können. Nicht um Antworten zu finden, und diese bis aufs Blut zu verteidigen, denn das ist der Moment, in dem wir womöglich aufhören, neugierig auf dieses Leben zu sein, und mental frühzeitig versterben.
Keine abschließenden Antworten – und das ist gut so
Die wirklich wichtigen Fragen haben keine endgültigen Antworten.
- Warum sind wir hier?
- Wohin gehen wir?
- Was ist richtig?
- Was ist wichtig?
- Was bleibt?
Wahrscheinlich ist das auch gut so. Wahrscheinlich würde eine definitive Antwort auf den Sinn des Lebens das Leben selbst obsolet machen. Wenn wir wüssten, wofür wir hier sind – was bliebe dann noch zu tun, außer es abzuarbeiten? Und würden wir uns dann noch weiterentwickeln? Wohl kaum.
Standorte und Standpunkte
Natürlich haben Überzeugungen, Standpunkte und Standorte viel damit zu tun, was wir als den Sinn des Lebens definieren. Auch hier gibt es allzu oft absolute Aussagen.
Fragen hilft. Manche Fragen sind relevanter als andere. Statt zu fragen „Wo wollen wir hin?“, wäre es manchmal ehrlicher zu fragen „Wo stehen wir eigentlich und wie sind wir hierhin gekommen?“ (und haben wir auf dem Weg hierher etwas gelernt?).
Was wissen wir eigentlich?
Wo stehen wir? In der Mitte des Lebens? Am Anfang? Kurz vor dem Ende?
Wir wissen es nicht.
Niemand kennt sein Ablaufdatum. Wir planen in die Zukunft, als hätten wir ewig Zeit. Dabei kann morgen schon alles vorbei sein. Das Gefühl von Dringlichkeit ist uns, wenn es um unser Leben und den Sinn unseres Lebens geht, ein gutes Stück abhanden gekommen. Wir wiegen uns in der gefühlten Sicherheit, dass alles immer weitergehen wird. Ist das wirklich so?
Wo stehen wir als Gesellschaft? Im Fortschritt oder im Niedergang? In der Aufklärung oder am Übergang zu einer neuen Dunkelheit? Kommt wohl darauf an, wen wir fragen und in welche Richtung wir schauen.
Noch weiter herausgezoomt: Wo stehen wir als Menschheit? Sind wir auf dem Weg zu den Sternen oder steuern wir auf einen globalen Abgrund zu? Singularität oder Kollaps? Auch hier: Es kommt darauf an.
Und wenn wir zu wissen glauben, wo wir stehen, bleibt dann nicht die Frage: Wo wollen wir hin?
Der individuelle und der kollektive Sinn
Mein Sinn des Lebens ist nicht Dein Sinn. Was mich erfüllt, das langweilt Dich vielleicht. Was Dir Bedeutung gibt, erscheint mir sinnlos. Und all das ist völlig in Ordnung.
Wir leben nicht allein. Wir sind soziale Wesen, eingebunden in Familien, Gemeinschaften, Gesellschaften. Sollte es nicht etwas wie einen kollektiven Sinn geben? Etwas, das uns alle verbindet? Etwas, hinter dessen Banner wir uns alle einordnen können?
Die ehrwürdigen alten Antworten – ein gottgefälliges Leben führen, das Königreich erhalten, den Reichtum mehren oder die Revolution vorantreiben – die haben ihre Bindungskraft verloren. Die neuen Antworten – Wachstum, Fortschritt, Selbstverwirklichung um jeden Preis – befriedigen uns nur partiell.
Benötigen wir einen (neuen) kollektiven Sinn? Einen, der größer ist als individuelles Glück, aber kleiner als eine absolute Wahrheit?
Die Bewahrung unseres Planeten, damit wir und unsere Kinder und Kindeskinder in einer lebenswerten Umwelt aufwachsen können? Die Überwindung des Leids und Gerechtigkeit für alle, damit wir überhaupt die Grundlage haben, vernünftig auf diesem Planeten zusammenleben zu können?
Hier schließt sich beinahe ein Kreis: Überleben. Nur dieses Mal aus einer gänzlich anderen Perspektive und mit übermenschlichen Herausforderungen verbunden.
Das Problem damit ist: Natürlich hört sich das alles vernünftig an. Bis zu dem Moment, in dem der Einzelne sich mit (vermeintlichen) Einschränkungen konfrontiert sieht.
Macht es da nicht mehr Sinn, etwas kleiner anzusetzen? Statt eine kollektive Sinnsuche zu propagieren: Könnte es nicht schon helfen, wenn jeder seinen eigenen Sinn findet und wir genügend Toleranz lernen, diese Sinnsuche und deren Ergebnisse zu respektieren?
Die Dringlichkeit des Sinns
„Memento mori“ – Gedenke des Todes – ein zentrales stoisches Prinzip. Ich kann nicht gut mit dem Stoizismus. Das ist nicht mein Weg. Aber den Gedanken an die eigene Endlichkeit, den halte ich für essenziell. Nicht um mich mit der Furcht vor dem Ende zu lähmen, sondern als Antrieb.
Wenn eine Ressource knapp ist, in diesem Fall die Zeit, dann wird sie kostbar. Wenn das Leben endlich ist, dann wird darin einen Sinn zu etablieren dringlich. Ohne Aktionismus.
Nicht jeder Moment muss voller Anspannung sein und dem Zwang, etwas Sinnvolles zu tun. Mary Oliver hat so wunderbar darüber geschrieben.
„Meditation, so I’ve heard, is best accomplished if you entertain a certain strict posture. Frankly, I prefer just to lounge under a tree. So why should I think I could ever be successful?“
Mary Oliver – On Meditating, Sort Of
Manchmal ist es wichtig, zu lungern. Unter einem Baum. Einfach, um zu uns zu finden, zu ruhen und diese Ruhe zu genießen. Vielleicht ist es am Ende die Balance: Dringlich genug, um nicht alles auf morgen zu verschieben. Gelassen genug, um nicht in Panik zu verfallen. Bewusst genug, um zu wählen. Mutig genug, um zu handeln.
Was bleibt
Am Ende werden wir uns vielleicht nicht fragen, ob wir den Sinn des Lebens gefunden haben. Vielleicht drehen sich unsere letzten klaren Gedanken darum, ob wir unserem Leben Sinn gegeben haben, und hoffentlich werden dies Momente sein, in denen wir nicht bereuen, unsere Zeit mit den „falschen“ Dingen verbracht zu haben.
In der Summe zählen dann die vielen kleinen Antworten mehr, als die eine große Antwort. Nicht der ultimative Sinn, den wir stringent gelebt haben, sondern die täglichen Bedeutungen unseres Lebens. Die kleinen Momente, in denen wir gespürt haben: Ja, dafür bin ich hier. Das ist gerade meine Aufgabe. Das ist es mir wert. Das gibt mir gerade so viel.
Viktor Frankl, der das KZ überlebte, schrieb: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ Aber er sagte auch: „Das Warum können wir nicht erfinden. Wir können es nur entdecken. In dem, was das Leben von uns fordert.“
Eine schöne Vorstellung: Das Leben fragt uns. Jeden Tag. Und wir antworten. Mit unseren Entscheidungen. Unseren Handlungen. Unserem Sein.
Eine Arbeitshypothese
Weil nachgereift all die Gedanken sammelt, die noch nicht fertig gedacht sind, kann ich nur meine Arbeitshypothese anbieten.
Vielleicht ist alles viel einfacher als gedacht? Nicht das große Streben nach einer Vision oder einem perfekten Leben. Nicht das Viele, sondern das Wenige?
Oder ganz bescheiden: authentisch leben. Ich sein. Mehr nicht. Keine Upgrades. Keine Add-ons. Einfach nur sein, wie und wer ich bin.
Wo kann ich, wo und wann darf ich der Mensch sein, der ich bin? Und wäre es nicht ein möglicher Sinn des Lebens, genau dieser (wertvolle) Mensch zu jedem Zeitpunkt und in jeder Situation sein zu können, sein zu dürfen, und trotzdem von allen anderen akzeptiert zu werden?
Was würde geschehen, wenn wir die Sinnsuche nach dem „Sinn des Lebens“ weniger in die Zukunft projizieren und uns stattdessen viel mehr auf den Augenblick konzentrieren würden?
Auf genau diesen.
Auf das Jetzt.
Ich bin davon überzeugt, dass wir viel zu oft einem „Sinn“ hinterherrennen, und je länger wir das tun, desto größer wird der Abstand zwischen uns und dieser perfekten und vollkommen überladenen Vision dessen, was wir für den „Sinn des Lebens“ halten.
Wir verschieben ihn unweigerlich weiter in die Zukunft. Mit jedem Anlauf etwas mehr. Weil wir noch nicht so weit sind. Weil wir erst noch mehr lernen müssen. Weil – ach, es gibt immer einen stichhaltigen Grund.
Und am Ende bleibt er dann unerreichbar, der Sinn des Lebens. Und wir leben in Vermeidung.
Deshalb erneut die Frage: Warum nicht authentisch im Jetzt leben als Sinn des Lebens definieren? Warum kann dieser Moment, den wir gerade erleben, nicht erfüllt sein von einem Sinn? Machen wir es uns wieder viel zu kompliziert und verlieren dabei die einfachen Dinge aus dem Fokus?
Mein Sinn, das ist meine aktuelle Arbeitshypothese, ist sehr einfach: Authentisch sein in jedem Augenblick, denn ich habe keine Lust mehr darauf, das zu verstecken, was mich ausmacht und was ich bin.
[…] dem Tod, der Trauer, der Angst, der Liebe, der Vergebung und dem Sinn ist es jetzt Zeit für das […]
[…] genauso wie die Erwartungen, die andere an uns stellen, dann hat das oft mit meinem Lieblingsthema Authentizität zu […]